Ausräumen, abschaffen, anders schreiben

Ein Essay über Ordnung und Unordnung, Lead-Magneten, japanische Harken, Verhörer und das Schreiben dazwischen
Ich war nie viral.
Nicht auf LinkedIn. Nicht im Blog.
Aber ich war konsequent.
Fast 150 Beiträge in anderthalb Jahren – durchdacht, getaktet, gestaltet.
Jeder Post hatte ein Bild. Jeder Text hatte einen Plan.
Und ein Teil von mir – nennen wir sie die Content-Kreatur –
war stolz darauf.
Sie sendete. Sie optimierte. Sie konzipierte mit Plan.

Eine kleine Auswahl meiner LinkedIn-Beiträge – gestaltet, geplant, durchdacht. Jeder Post ein Puzzlestück meiner Content-Kreatur. Und irgendwann: zu viel. Zu glatt. Zu sehr auf Sendung. Schön war’s. Aber etwas fehlte.Vielleicht: Ich selbst.
Mein Mann nannte mich irgendwann hämisch-liebevoll „die Broadcasterin“.
Wie hellsichtig er doch ist.
Während ich noch dachte, ich teile Inhalte, hat er längst erkannt:
Ich sendete. Dauernd. Auf allen Kanälen.
Ich habe mich hineingearbeitet:
Strategie. Frequenz. Format. Hook.
Ich habe gedacht wie eine Content-Managerin mit Herz – aber eben auch mit einem Auge auf Impressions, Likes, Reichweite.
Ich habe viel von mir gezeigt. Und wenig zurückgehalten.
Aber irgendwann merkte ich:
Ich sende – aber ich bin nicht mehr im Gespräch.
Ich produziere – aber ich schreibe nicht mehr.
Ich war sichtbar.
Aber ich war auch abhängig.
Vom Algorithmus. Vom Ping.
Vom kleinen Dopamin-Rausch, der nach jedem Post kam oder auch nicht.
Und manchmal war die „Sichtbarkeit“ einfach nur ein gut verpacktes Selbstbestätigungssystem in KPI-Optik.
Der Lead-Magnet auf meiner Website war nur die logische Fortsetzung.
Mehrwert gegen Mailadresse. Vertrauen gegen Daten.
Ein guter Deal – sagt das Marketing.
Ein Verrat am Schreiben – denke ich inzwischen.
Ich habe aufgeräumt.
Nicht in der Küche. Nicht im Keller.
Sondern im Kopf. Im Web. In meiner digitalen Landschaft.
Und das war anstrengender als jedes Gartenbeet im Frühjahr.
Natürlich habe ich es nicht einfach so gemacht.
Ich habe geplant.
Ich habe überlegt, welche Seite was wird, welche Übung wohin wandert, welcher Text zu welchem Ort passt.
Ich habe aufgeräumt in Kategorien.
Nicht digital, sondern mit System.
Kästchen. Farben. Etiketten.
Mein Mann sagt, ich räume das ganze Leben in Tupperdosen und Boxen.
Und ja – das stimmt. Ich sortiere T-Shirts nach Farbe, hänge Bilder gerade, und liebe es, wenn sich Dinge in klare Rubriken falten lassen.
Ich bin der Monk mit Methode.
Und vielleicht war genau das mein Problem:
Ich habe auch mein Schreiben lange in Boxen gesteckt.
Newsletter = Information.
Coaching-Website = Überzeugung.
Substack = Tiefe.
LinkedIn = Reichweite.
Und irgendwann wusste ich nicht mehr, wo eigentlich ich selbst liege – zwischen all diesen sauber beschrifteten Fächern.
Also habe ich aufgeräumt.
Lead-Magnet raus.
CTAs entsorgt.
Newsletter-Willkommensmails pausiert.
Website umgebaut.
Übungen befreit.
Aber ich habe nicht alles weggeräumt.
Denn so wie mein Schreiben aussieht, sieht auch mein Garten aus.
In der Mitte: mein Kiesbeet.
Strukturiert, gekrümmt, gepflegt.
Mit meiner heißgeliebten japanischen Harke halte ich Ordnung.
Zentimeterweise.
Ein kleines Zen, das mir gut tut.
Aber rechts und links davon – wuchert das Leben.
Drei Etagen, auf denen Wein wächst, dazwischen Löwenzahn, blaue Blüten,
Wiesenstorchenschnabel, wild, aufrecht, nicht zu bändigen.
Und schön.
Ich müsste mähen.
Vor dem Urlaub.
So sagt der Planungs-Monk in mir.
Aber ich kann nicht.
Weil es gerade so schön ist.
Weil das Chaos blüht.
Und vielleicht ist genau das mein neues Schreiben:
Ein Kiesbeet in der Mitte.
Mit Struktur, mit Sätzen, mit Ordnung.
Aber drumherum: Etagen voller Wachstum, das nicht in Kästchen passt.
Ein bisschen Löwenzahn und Schönheit, die sich selbst sortiert.

Unkraut, sagt der Gartenkalender. Blüte, sagt mein Schreiben.
Ich habe zwei neue Seiten im Kopf.
Die eine heißt „Einfach so.“ Da kommen die alten Coaching-Reflexionsübungen hin , befreit von ihrer Pflicht, Kunden zu konvertieren.
Die andere heißt „Wegstücke“. Sie wird Teil dieses Blogs und sammelt Übungen, die sich im Draußensein entfalten.
Viele dieser Impulse sind im Garten entstanden.
Andere kamen später, in der Natur-Reslienz-Ausbildung.
Nicht um etwas Neues zu lernen, sondern um dem, was längst da war, eine Sprache zu geben.
Und dann ist da noch mein Newsletter „NatUrKraft“. Der wird jetzt vielleicht wirklich Nussletter heißen.
Ein KI-Verhörer, der mehr über mich sagt als jeder Positionierungssatz.
Denn: Es sind Gedanken zum Knacken.
Klein, echt, nahrhaft.
Ohne Schale, ohne Funnel, ohne Zielgruppenoptimierung.
Der Nussletter war für die Zeitinsel geschrieben und darf auch dort bleiben.
Ich schreibe. Und manchmal begleite ich.
Der Rest darf wachsen.
Langsam.
Wild.
Und in alle Richtungen.
Fertig? Nein.
Angekommen? Vielleicht.
Bereit? Ja.

Wachsen ohne Plan. Und trotzdem richtig.