Bregenz 2025: Der Teufel hatte den besten Text

Und dann lachte Samiel. Über uns alle.
Ich war schon glücklich, dass es nicht geregnet hat.
Nach einer Woche voller apokalyptischem Dauerregen war die Luft plötzlich klar, die Bregenzer Seebühne trocken, als hätte der Teufel persönlich beim Wettergott interveniert, auf dass man ihn besser hört.
Und er ließ sich hören – als roter Samiel.
Keine Premiere, kein Blitzlichtgewitter, einfach ein Sommerabend, an dem alles passte.
Auch die Hörner.
Denn ja: In manchen Szenen trug er sie.
Aber viel gefährlicher war seine Stimme und was er sagte.
Vielleicht gefiel mir diese Version vom Freischütz auch deshalb so gut, weil 40 % gesprochen wurde.
Nicht gesungen.
Nicht verklärt.
Nicht romantisiert.
Einfach gesagt, was gesagt werden musste.
Und der Teufel hatte die Lufthoheit.
Der Freischütz, erweitert, entlarvt, gelacht
Diese Inszenierung war kein Freischütz im klassischen Sinn.
Eher eine Entzauberungsmaschine mit roten Handschuhen.
Eher Sezierung statt Inszenierung.
Eher eine Subversion mit Musik.
Der Teufel ritt auf einem skelettierten Pferd durch die Seebühne, als wäre er zu spät zur Apokalypse erschienen.
Das Gottesauge im Dreieck zwinkerte.
Wirklich. Es zwinkerte.
Und irgendwo zwischen Waldkulisse, Bühnennebel und Samiel-Solo platzte die Oper leise auseinander und wurde wahr.
Highlights auf dem See
Agathe: Jungfrau. Und schwanger. Keine Pointe. Nur ein Nebensatz.
Ännchen küsst Agathe. Nicht schwesterlich.
Sie wollen abhauen. Ohne Männer. Tun’s natürlich nicht.
Feuerspeier und Wasserelfen wechseln sich mit Untoten ab.
Und dann: der Eremit. Der moralische Endgegner. Der, der Gnade verkündet wie ein orthodoxer Priester in taubenblauer Robe. Nur um am Ende zu sagen:
„War ich gar nicht. War Samiel. War immer Samiel.“
Der Teufel spricht – wir hören lieber weg
Vielleicht war das die größte Pointe des Abends:
Samiel war nicht der Böse, der sich versteckt.
Er verführt – mit Ankündigung.
Er sagt, was er will. Und was wir verdrängen.
Er verkauft keine Erlösung. Nur Klarheit.
Kein Trost. Nur Wahrheit.
Und weil er das schöner tut als alle anderen, folgen wir ihm, mit offenen Augen und stummen Ausreden.
Warum ich dem Teufel dankbar bin
Weil er nicht lügt.
Weil er kein Pathos braucht.
Weil er uns den Spiegel hinhält, während wir noch singen.
Weil er lacht und das Lachen die ehrlichste Reaktion auf diese Geschichte ist.
Samiel ist böse. Ja.
Aber nicht heimlich. Nicht plump. Nicht mythologisch.
Böse mit Niveau.
Mit Stil. Mit Haltung.
Mit einem Blick, der dich zuerst mustert und dann auslacht.
Ich erwartete schwülstige Romantik.
Ich bekam Klarheit.
Ich ging mit einem Lachen, das die ganze Oper entblößt, ja erneuert hat.
Danke, Samiel.
Für nichts. Und für alles.
Postskriptum – Streit im Off
Mephisto (verschnupft):
„Aha. Der große Samiel.
Der neue Publikumsliebling mit Hörnern von der Stange.
Ein Teufel auf Seebühne.
Mit Nebel.
Mit Handschuhen.
Mit Zwinkern.
Ich lache nicht. Ich gähne.
Der kriegt einen Text – mich gibts seit Jahrhunderten.
Ich bin Versuchung, Zweifel, Dialektik.
Er ist nur Deko mit Dialog.
Ein Fake-Teufel.
Ein Show-Dämon auf Applausfang.“
Dr. Klang (mit Bariton):
„Und doch klang er. Nicht wie du, aber neu.
Klar. Schneidend.
Ein Teufel mit Stimme, nicht mit Schleier.
Du zischst, er spricht.“
Mephisto (schnaubt):
„Ich flüstere. Ich verdrehe. Ich zersetze.
Er erklärt in seinem albernen roten Cat-Suit.
Das ist nicht Können, das ist Pose.“
Clara (sachlich, ohne Blickkontakt):
„Ihr seid verschieden. Du bist Ambivalenz.
Er ist Echo. Du brauchst Intellekt.
Er wirkt unmittelbar.
Beides hat Platz.
Heute war Samiels Abend.“
Mephisto (leise, aber nicht versöhnt):
„Ich hätte ihn mit einem Satz entlarvt.“
Dr. Klang:
„Aber du hast geschwiegen.“
Clara (geht ab, trocken):
„Und du hast kein schickes rotes Dress.“

Ich bin Dagmar – Autorin mit Hang zum Sprachwildwuchs und einer Vorliebe für das Unvollkommene.
Auf Rezerette schreibe ich seit 2017 Miniaturen, Gedankensplitter und poetische Abzweigungen – keine Lebensrezepte, aber Worte, die begleiten.
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