Bin immer selbst im Gepäck – wie mich das Reisen geprägt hat.

Ich war elf, als ich das erste Mal allein verreiste.
Lufthansa, Düsseldorf–Mailand, orangener Umhängebeutel mit Pass und Ticket.
Empfangen von einer deutsch-italienischen Familie – sie Italienerin, er Kollege meines Vaters.
Ein Sommer, in dem ich Pasta lieben lernte, Carpaccio entdeckte –
und bei der Rückkehr feststellte: Beim Metzger um die Ecke gab’s das nicht.
Damals spürte ich zum ersten Mal:
Reisen verändert. Weitet den Blick. Prägt das Innere.
Und: Ich nehme mich mit.
Seitdem bin ich viel gereist. Mit Brieffreunden durch Europa, als Praktikantin durch Institutionen, später als Managerin durch Zeitzonen und heute als Lebensform.
Ich habe Länder gesehen. Und mich – jedes Mal ein Stück anders.
Von der Schülerin zur kleinen Europäerin

Mit 13: England. Brieffreundin bei Wimbledon.
Ich war Kind, sie Teenager. Herzlichkeit, fettiges Frühstück, schmuddelige Küche.
Ich lernte, was deutsch an mir ist – und hörte beim Streit mit Schulfreunden:
„But – we won the war.“
Mit 15: Bretagne. Drei Wochen Französisch.
Ich lernte, Vinaigrette in Flaschen zu mischen, Muscheln zu sammeln –
und staunte über Tapete in der Gästetoilette.
Das französische Mittagessen wurde Prinzip:
Essen als Kultur.
Mit 17: USA. Fulbright-Austausch.
New York laut, Tampa weit.
Gastfamilie mit Cheerleaderlächeln.
Ich rasierte mir erstmals die Beine – weil man das dort eben so machte.
Zurück in Deutschland sagte meine Lehrerin:
„Dagmar – was für ein schrecklicher Akzent.“
Ich habe gelächelt.
Ich hatte Amerika nicht nur verstanden – ich hatte es gelebt.
Ich war keine Touristin mehr. Ich war Europäerin.
Businessreisen – Arbeit im Fernweh-Format

Reisen wurde Routine – und Rettung.
Ich war viel unterwegs. Und dabei: ruhig.
Kuala Lumpur war vertraut.
Meine Kollegen zeigten mir Pho, Dumplings, Sashimi.
Im Flugzeug: keine Meetings, keine Mails – nur Filme, Bücher, Luft.
In Singapur: Fußmassage am Gate.
Und als auf Island ein Vulkan ausbrach, blieb ich drei Tage dort –
Zwangspause mit Wifi und Zimmerservice.
Eine echte Zeit:Insel.
Zweisamkeit zwischen Zeitzonen

Mein Mann und ich – parallele Karrieren, parallele Reisen.
Wir trafen uns unterwegs: Mumbai, Bangkok, São Paulo.
Wiedersehen zwischen Terminen.
Dinner mit Jetlag.
Liebe auf Zeitzone.
Gemeinsame Tauchurlaube: über 200 Tauchgänge bei mir, über 350 bei ihm.
Malediven, Mikronesien, Hawaii.
Unter Wasser zählt kein Wort – nur Vertrauen.
Und irgendwo, zwischen Maske und Flosse, habe ich verstanden:
Tiefe ist nicht Distanz.
100 Tage – aus Muss wird Möchte

Zwischen 2010 und 2019: 80 bis 100 Reisetage jährlich.
Dann der Ausstieg.
Wir beschlossen: 100 Tage im Jahr.
Mal 75, mal 100.
Mal weit, mal nur raus.
Nicht Flucht – Haltung.
Nicht Ziel – Weg.
Wiederkommen statt nur weiterziehen
Früher: nie zweimal derselbe Ort.
Heute: Lanzarote, jährlich.
Hawaii: viermal.
Immer neu – nicht weil der Ort sich änderte.
Weil wir es taten.
Und dann ist da noch der Bus

Einmal probiert: Vanlife. Roadtrip.
Endete mit Querlenkerbruch, Flussbett, Hysterie.
Wir blieben stecken – physisch, emotional.
Seitdem wissen wir:
Kein Camper. Jeep mit Lodge.
Offroad – ja.
Aber mit Weißwein, Dusche, Bettwäsche.
Was bleibt
Reisen ist kein Kapitel in meinem Leben.
Es ist das Format.
Ich bin unterwegs erwachsen geworden.
Habe in vielen Sprachen gesprochen, meine Komfortzone verlassen, mich verliebt, gelacht, gefroren, geschnorchelt und mich verlaufen.
Ich nehme mich immer mit.
Und manchmal bringe ich eine neue Version zurück.
Ein Moment davon: Reunion in acht Textinseln hier.

Dr. Klang murmelt:
„Wer sich selbst mitnimmt, reist nie allein – aber manchmal doppelt so schwer.“
Veröffentlicht im Rahmen der Blogparade von Julia Pracht: Wie hat sich dein Reisen verändert?

Kompost & Klartext
Ich bin Dagmar, und Rezerette ist mein Ort für Sprachwildwuchs, mentale Seitentriebe – und praktische Gartenwege.
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