Warum ich schwarze Johannisbeeren liebe!

Blaues Sieb voller frisch gepflückter schwarzer Johannisbeeren, mit grünem Blattwerk und einer kleinen Schnecke mittendrin.

Schwarze Tintentropfen
Mein langsamer Blogartikel über eine nicht ganz alltägliche Sommerfrucht. Meine Lieblingsfrucht. Manche sind laut, süß, gefällig. Schwarze Johannisbeeren sind anders: herb, eigensinnig, leise. Dieser Text ist beim Sammeln entstanden und vielleicht ist er selbst so eine Beere: nicht für jeden, aber mit Nachgeschmack.

1. Im Dickicht

Johannisbeersträucher mit dichten grünen Blättern und schwarzen Beeren, eingebettet in wildes Gartenwachstum.
Schwarze Punkte im Dickicht

Sie kündigen sich nicht an.
Keine Farbe, die ruft. Kein Duft, der lockt.
Und doch: Wer einmal hineingebissen hat, vergisst es nicht.

Zwei Sträucher, schräg in unseren Hang gepflanzt.
Eine Hälfte gut erreichbar, die andere ist ein kleines alpines Abenteuer.
Ich arbeite mich vor, von oben nach unten, von Rispe zu Rispe.
Langsam.
Weil jede Beere zählt.
Weil ich weiß, wie es ist, wenn keine da sind.
2024: Spätfrost. Nichts zu holen.

Jetzt: schwarze Punkte im grünen Dickicht.
Wie Tintentropfen in einer Sprache, die nur der Sommer spricht.

2. Geschmack mit Haltung

Schwarze Johannisbeeren sind keine Früchte für Anfänger. 1,6 Gramm = 1 Beere, und der Gaumen zieht sich zusammen. Organoleptisch: adstringierend. Existenziell: ehrlich.

Ich liebe sie, weil sie nicht gefallen wollen.
Weil sie still wachsen.
Weil sie mehr können als süß sein.

Sie lassen sich nicht wegsnacken. Man muss sich zu ihnen beugen.

3. Eine Frucht für Feinschmecker

In anderen Jahren: Marmelade in Massen. Zu zweit kaum zu bewältigen. Selbst verschenken stößt an Grenzen der Süßigkeitenlogistik.

Aber letztes Jahr: keine schwarzen Johannisbeeren.
Ein Jahr ohne Glanz, ohne Gelee.
Und plötzlich merke ich, was fehlt.
Wie wertvoll das ist, was sonst zu viel war.

Jetzt bin ich langsam.
Sammle. Sortiere.
Verliere kaum eine Beere und wenn doch, ist es eine kleine Opfergabe an die Insekten im Hang.

4. Superfood ohne Brimborium

Anthocyane, Vitamine, Kraft.
Superfood ohne Drama.
Kein Werbewort, kein Hype.
Sondern Arbeit.
Lila Finger.
Gartenrealität.

Einheimisch, eigen, unaufgeregt.
Wenn es einen Begriff für leises Superfood gibt:
Dann bitte diesen.

5. Hocke mit Aussicht

Ich sitze in tiefer Hocke, eine Haltung, die wir Mitteleuropäer verlernt haben.
Kinder kennen sie. In Asien lebt man darin. Ich halte sie nur kurz.
Dann muss ich aufstehen. Aber die Schräge hilft.
Und ich bleibe im Spiel.

6. Die Ameisenrepublik

Ab und zu setze ich mich, aber nicht lange, weil sie kommen.
Die Ameisen. Klein, viele und sehr entschieden.

Sie dulden kein Verweilen.
Sie stechen nicht, sie sprühen.
Sie sind einfach da.
Nicht aus Bosheit.
Es ist ihr Hang.

Ich verhandle mit Essig.
Ein paar Tropfen und sie ziehen sich zurück.
Später kommen sie wieder.

7. Zwischen Süße und Herbe

Nicht alles im Leben ist süß.
Nicht jede Frucht will gefallen.
Und nicht jeder Moment lässt sich einwecken.

Manche Dinge ziehen sich zusammen.
Wie der Gaumen nach der ersten schwarzen Johannisbeere.
Herb. Streng. Manchmal fast zu viel.

Aber genau das macht sie aus.
Deshalb liebe ich schwarze Johannisbeeren:
Sie erinnern mich, dass das Leben mehr ist als Genuss.

Dass Tiefe oft herb beginnt.
Und Süße nur trägt, wenn auch das Bittere dazugehört.

Diese Beeren sagen nicht: Alles wird gut.
Sie sagen: Alles ist da. Du musst es nur schmecken.

8. Zweite Halbzeit

Roter Gummistiefel neben einem blauen Sieb mit roter Sprühflasche – bereit für die Johannisbeerernte am steilen Hang.
Werkzeug für den Hang

Minute 88, nach kurzer Pause: ein Glas Wasser, ein Gang zur Waage.
1.130 Gramm Zwischenstand.

Die zweite Hälfte des Hangs beginnt wie ein Western.
Nicht mit Pfeifen im Wind, sondern mit rotem Gummistiefel.
Jetzt tiefere Schräge. Die Hocke weicht dem Sitz.

Die Ameisen haben neue Pläne, diesmal für mein Hinterteil.
Ich mit einer frischen Flasche Essig in der Hand.
Hätte besser eine lange Hose angezogen, aber dafür ist es zu warm.

Das ist keine Idylle.
Das ist Vorbereitung.
Auf Ameisen, Hanglage, Restbeeren.

Ein kurzer Blick.
Ein Schatten.
Dann geht es weiter.
Nicht schneller.
Aber entschiedener.

9. Zwischen Amor und Amaro

Die Johannisbeere will nicht gefallen.Sie will nicht verführen.
Sie will einfach schmecken: süß, herb, adstringierend, leicht säuerlich.

Im Ayurveda spricht man von sechs Geschmacksrichtungen.
Rasas: süß, sauer, salzig, scharf, bitter, zusammenziehend.
Vier davon bringt die Johannisbeere mit. Salz und Schärfe liefert der Käse.

Auf einem Butterbrot vereint: ein kleines, ganzheitliches Frühstück. Ohne Pathos. Mit Sinn.

10. Geschmack kostet Zeit

Frisch abgefülltes Johannisbeergelee in einem Glas, dunkelrot leuchtend, auf einer Holzoberfläche.
Ein Glas Zeit

Das Bittere ist ein erwachsender Geschmack.
Man lernt ihn später zu schätzen.
Kinder wenden sich ab.

Zwischen diesen Polen:
Ein kleines Fenster für Erkenntnis:
Wer nie Süße erlebt hat, kann Bitterkeit nicht halten.
Dann wird sie nicht Tiefe, sondern Härte.
Nicht Geschmack, sondern Gift.

Man braucht Vorrat.
An Süße.
Um das Leben in all seinen Tönen zu schmecken und nicht daran zu verbittern.

11. Kern-Pflück-Index (KPI)

103 Minuten.
Mit Schneckenhilfe und Detektivblick.
1.530 Gramm.
14,85 Gramm pro Minute oder satte 12 Beeren.
Was habe ich eigentlich die ganze Zeit gemacht?
Text diktiert, Ameisen verscheucht und im Hang geklettert?

Mephisto (von der Küchenbank):
Du hast geerntet, gezählt, gedacht. Und auch ein bisschen geträumt.

12. Was bleibt?

Ein leiser Dreiklang zum Schluss.

Clara:
„1.500 Gramm geerntet. Ein Kilo Text geschrieben. Dazu: Beobachtung, Achtsamkeit, ein bisschen Ameisensäure. Kein Zauber, nur Dasein.“

Dr. Klang:
„Der Hang war eine Partitur. Du hast in Moll begonnen, in Dur geendet. Und zwischendurch: Johannisbeerblau, still und satt.“

Mephisto:
„Nächstes Mal schreibst du über Schnittlauch. Oder Möhren. Oder irgendwas ohne moralischen Beerenkern. Aber bis dahin: Respekt. Du hast dem Sommer einen Geschmack gegeben.“

13. KPI – die zweite

Konfitüren-Projekt-Investition

Ein Tag später, in der Küche:
Zehn kleine Gläser, aufgereiht wie frisch polierte Orden.
Johannisbeer-Gelee: tiefrot, durchscheinend, mit dieser rebellischen Säure, die keine Werbung braucht.

Ein leises Plopp.
Der Deckel zieht Vakuum.
Erfolg, konserviert.

Und doch fragt sich etwas in mir:
Was kostet so ein Glas eigentlich wirklich?

Ich rechne nach. Nicht, weil ich es verkaufen will.
Sondern weil ich es wissen will.
Weil eine Bilanz manchmal hilft, auch wenn sie nichts ändern muss.

1.370 Gramm Beeren, ein Kilo Zucker, Pektin, Gläser, Energie.
Und meine Zeit: 193 Minuten.

Wenn man den Mindestlohn anlegt, kommt da etwas zusammen. Am Ende steht da eine Summe:
Über sechs Euro pro Glas.

Mehr als ein Hummus im Bioladen.
Mehr als eine edle Schokolade.
Mehr als ein Liter Rotwein vom Discounter.

Aber was hier steht, ist kein Preis.
Es ist eine Erinnerung:
Nicht alles, was nichts einbringt, ist umsonst.

Konfitüren.
Persönlich.
Investiert.

Ein Glas geöffnetes Johannisbeer-Gelee auf schwarzem Steintisch, daneben zwei Knäckebrote mit dunklem Gelee und ein Löffel – einfache, ehrliche Mahlzeit.
Gelee von der schwarzen Johannisbeere. Ohne Filter.

Lust auf mehr? Hier wächst noch was:

Dagmar im Profil, entspannt sitzend im Freien – ein nachdenklicher Blick, als würde sie gerade einem Satz beim Wachsen zusehen.

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